Corona: Die Antworten nicht den Autoritären überlassen

22. März 2020

Kommentar

Gunnar Schupelius frohlockt: „Der Staat zeigt auf einmal eine Schlagkraft, die wir bisher nicht kannten. In den zurückliegenden Krisen hätte man sich eine Portion von dieser Konsequenz gewünscht, zum Beispiel im Kampf gegen Drogenhandel und Clankriminalität, zum Beispiel in der Flüchtlings- und Asylkrise von 2015 und den Terroranschlägen dieser Jahre.“ Der BZ-Kolumnist, dessen ganze Karriere darauf aufbaut rechtskonservative bis faschistoide Positionen zu beziehen, zeigt sich erfreut über das harte Agieren des Staates angesichts der Coronakrise. Wo er doch schon längst hätte so handeln müssen, angesichts der permanent rechtlosen Zustände in diesem Land. Und mit seinen Positionen ist er leider nicht alleine.

Twitter quillt über mit Tweets die eine Ausgangssperre fordern, weil sich die Leute nicht selbst in eine solche begeben. Social Distancing ist nicht genug, man muss die Leute wegsperren. Wenn die Leute nicht „vernünftig“ handeln, dann muss es eben der Staat richten. Die Vernunft, an der sich die neugewonnene Erkenntnis orientiert, ist eine vermeintlich gesundheitspolitische: Nur mit noch stärkeren Ausgangsbeschränkungen könne man verhindern, dass sich das Coronavirus weiter verbreitet und die voranschreitende Pandemie aufhalten. Am besten von der Polizei kontrolliert und durchgesetzt.

Dass die Forderung sich in der Wohnung einzuschließen für manche Menschen schwerwiegendere Folgen hat als für andere, spielt dabei keine Rolle. Mit Netflix und Homeoffice in der mit dem*der Partner*in bewohnten Drei-Zimmer-Altbau-Wohnung, ist es einfach nach Ausgangssperre zu rufen. Für Menschen die nicht das Glück haben, über so viel Wohnraum zu verfügen – sei es wegen Armut oder ihrem illegalisierten Status – ist der öffentliche Raum wesentlich wichtiger. Ganz zu schweigen von der bereits in China dokumentierten Zunahme patriarchaler Gewalt während der dortigen Ausgangsbeschränkungen.

Dass diese Maßnahme selbst bei epidemiologischen Expert*innen wegen ihres unklaren Nutzens nicht unumstritten ist, ist scheinbar auch irrelevant. Und vor allem bleibt bei allen Forderungen nach der harten Hand des Staates völlig unterbeleuchtet, dass die Entscheidung eine Ausgangssperre zu verhängen nicht nur ein Akt zur Seuchenbekämpfung ist, sondern auch eine politischer. Und die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, werden sich in Zukunft verselbstständigen.

Beispiele dafür gibt es reichlich: Pfefferspray wurde ursprünglich eingeführt, um den Schusswaffengebrauch von Polizist*innen zu verringern. Heute wird es auf Demos wie Lufterfrischer eingesetzt. Der Antiterrorparagraf 129 b wurde vor dem Hintergrund der islamistischen Terroranschläge auf das World Trade Center 2001 eingeführt, heute dient er vor allem der Kriminalisierung linker Exilbewegungen in Deutschland. Der nach den Terrorsanschlägen von Paris eingeführte Ausnahmezustand in Frankreich, wurde kurzerhand zum Normalzustand erklärt und gegen die Bewegung der gîlets jaunes in Stellung gebracht.

Auch in der Coronakrise selbst zeigt sich, dass die jetzt getroffenen autoritären Maßnahmen manchen Politiker*innen sowieso sehr gut in den Kram passen. In Chile wurde nach den ersten Ausbrüchen von Corona der Katastrophenfall ausgerufen: Militär ist in den Straßen und kontrolliert, dass niemand das Haus verlässt. Damit ist das vorläufige Ende der Sozialproteste und des Aufstands gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell eingeläutet worden. Eine der ersten Maßnahmen der Militärs war es dann auch, die für die Proteste emblematische Plaza Dignidad von sämtlichen Spuren der Proteste zu bereinigen. Die mit Parolen bemalte Statue in der Mitte des Platzes wurde gesäubert und wieder hergerichtet, die autonom aufgebauten Monumente vernichtet; Ein Zaun wurde um den Platz gezogen um zukünftige Proteste zu erschweren. Der „Normalzustand“ gegen den sich die Proteste richteten wurde wieder hergestellt. Man bereitet sich auf die Zeit nach Corona vor.

In Israel hat der wegen Korruptionsermittlungen politisch schwer angeschlagene Ministerpräsident Netanyahu kurzerhand das Parlament ausgehebelt und regiert über den Erlass von Dekreten. Der Inlandsgeheimdienst überwacht durch die Abfrage von Mobilfunk-Metadaten Menschen, die unter Quarantäne gestellt wurden – ein Mittel das bisher angeblich nur zur Terrorbekämpfung eingesetzt wurde.

Wenn jetzt unbedarft nach einer Ausgangssperre gerufen wird, wird das mittel- und langfristig schwere Konsequenzen haben. Was einmal politisch als Handlungsoption durchgesetzt ist, kann zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder angewandt werden. Unabhängig vom ursprünglichen Kontext, oder der eigentlichen Begründung, mit der die Maßnahme möglich gemacht wurde.

Deswegen ist es umso wichtiger, angesichts der jetzt um sich greifenden Rufe nach einem autoritären Staat, selbst aktiv zu werden: Sich diesen Rufen aktiv entgegen zu stellen und vor allem Solidarität zu organisieren. Nur so kann die Pandemie von uns aufgehalten werden. Und nur so können wir verhindern, dass die reaktionäre Law&Order Fraktion diese Krise für sich nutzt und noch repressivere Bedingungen für die Auseinandersetzungen der Zukunft schafft.

#Titelbild: Computer-Simulation des Corona-Virus, Felipe Esquivel Reed, wikimedia commons, CC-BY-SA 4.0

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